Euphorie...

... der Waage, auf der ich schon lange nicht mehr gestanden habe. Irgendwie hatte ich auch gar nicht das Bedürfnis danach. Neugierigerweise stellte ich mich dann doch vorgestern drauf. Morgens früh, nackt, als alle anderen noch Feiertags-Auschlafen praktizierten.
Schwupsa! Glatte 64 kg. Und das obwohl ich mächtig gut gegessen hatte am Vortag. Sonst wanderte ich immer irgendwie an der Grenze zu 65 herum. 64 standen zwar, hatten aber immer irgendwas um die Komma 4/5/6 und plötzlich waren es weniger. Cool dachte ich, freute mich und merkte wie die Euphorie den ganzen Tag anhielt. Iss nur brav so weiter. Nicht zu viel nicht, zu wenig und dann auch noch das Richtige und alles wird gut.
Und dann ging es wieder los. Dieser Drang ständig zu wiegen. Einmal täglich. Ich klugscheißer selber rum, dass man das tunlichst vermeiden sollte, und dann ende ich selber so. Tzzz!
Dumm, aber nun gut. Ich bin ganz und gar nicht perfekt. Gestern waren's dann auch wieder etwas mehr. 600 Gramm. Ein wenig Enttäuschung, aber nun gut. Kein Drama. Ich breche nicht in Panik aus, aber geknickt bin doch drüber.

Heute auch wieder 64,7 kg. Pwah! Ich versuche das Ganze mit Logik und Vernunft anzugehen. Wer am Vortag Sport gemacht hat, wiegt eh mehr, weil körpereigener Flüssigkeitshaushalt da noch kompensiert, Durchblutung immer noch gepusht und Blablabla. Ist doch auch logisch. Vernünftig wäre es da doch, trotzdem den Tag entspannt anzugehen. Ich ermahne mich dazu. Ein bisschen Eile ist geboten, weil ich meinen Termin beim Orthopäden so früh gelegt habe. Was sich als ganz gut heraus gestellt hatte. Mein Frühstück schaff ich trotzdem. Ich checke noch Emails und treibe mich ein bisschen bei Tumblr herum, weil ich das Blogsystem einfach nur cool und so schön einfach finde. Schlimm daran: Man vergisst die Zeit dabei, scrollt durch Bilder, kleine Texte und dergleichen durch und die Minuten entscheiden sich dazu nur Sekunden zu sein.
Ich sehe auf die Uhr. Mist, Kack, Dreck... Meine Haare sind noch nass. 10 Minuten dafür. Eine Viertelstunde brauche ich für die Fahrt zum Doc. Geld muss ich auch noch holen und diese blöde Umleitung fahren, die mich kilometerweit durch die Pampa lotst. Suuuuper. Ich komm sowas von zu spät, denke ich mir und habe im Aufspringen auf dem Weg zum Bad Fön und Haarschaum förmlich schon in der Hand. Fluchend rödel ich an meinen störrischen Haaren herum, die nicht trocken werden wollen. Durch gekippte Fenster höre ich strömenden Regen gepaart mit Windattacken, die durch die Bäume rauschen.
Na, super. Fönen war voll fürn Eimer. Egal, jetzt bist eh fertig damit. Hastig jede Pfütze mitnehmend zum Auto gehetzt. So oft, wie auf dem Weg zum Doc habe ich wohl noch nie rumgeschimpft. Ich muss mich ermahnen, nicht so schnell zu fahren. Kann eh schon nix sehen, wegen den Massen an Wasser. Trotzdem fahre ich ein bisschen schneller als erlaubt. Vor der Praxis herrscht akuter Parkplatzmangel und ich muss am Ende der Welt parken. Es regnet immer noch. Der Tag kann doch nicht schöner anfangen, oder? Ich parke auf einer Matschwiese, die sich als Festplatz entpuppt und wandere zurück zum Ärztehaus. Da hätte ich gleich komplett zu Fuß gehen können. Ich meckere halblaut vor mich hin, während meine Zigarette im Regen aufweichen und fast ausgeht. Die Leute sehen mich verwundert an, weil ich Selbstgespräche führe. Egal. Einmal Freak, immer Freak. Die seh ich eh nie wieder.
Im Ärztehaus schüttele ich mich wie ein nasser Hund und die blank polierten Bodenfliesen um mich herum werden zu heimtükischen Rutschfallen. Mir wurst. Ich will endlich zum Doc. Missmutig stapfe ich die zwei Etagen hoch und könnte jetzt schon mehr als nur ungenießbar werden. Das hat weniger mit dem Wetter zu tun, sondern meiner allgemeinen Abneigung gegen Ärzte, Praxen und Krankenhäuser, sowie allen anderen Einrichtungen dieser Art.
Am Empfang setzte ich die Vendetta-Maske auf. Ein schmales aber freundliches Lächeln, mit ich mich anmelde und den Grund der 20minütigen Verspätung etwas blumig umschreibe. Die Arzthelferin interessiert das wenig und nimmt meine Karte zusammen mit 10 Euro entgegen. Sie leiert ihr Sprüche herunter und ich hocke mich in eine Ecke des Wartezimmers. Die Zeitschriftenstapel interessieren mich wenig. Bunte, Gala, Sportbild etc. wecken kaum meine Neugier. Ich ziehe mein Buch aus der Tasche, schlage es auf und tue als wäre ich nicht da. Das Beste, was ich machen kann. Ich hasse-Wartezimmer-Smalltalk über beschissenes Wetter. Ich versinke zwischen den Buchseite und lenke mich dadurch von den Gedanken und den Befürchtungen, was mit meinem Knie sein könnte. Punktion, OP... Die Worte gibts grad nicht. Ich nur soweit anwesend, dass ich auf meinen Namen hin männchen-machend aufspringe.
Keine Ahnung wie lange, aber dann war es so weit. Ich rutsche in das kurze, genau geplannte Abarbeitungsschema für Kassenpatienten. Erstmal Untersuchungsraum, raus aus dem Wartezimmer. Aber dran bin ich immer noch nicht. Wird nur der Eindruck erweckt, es ginge sofort weiter. In dem Raum sitze und wandere ich herum und schlage eine weitere halbe Stunde mausetot.
Ich erschrecke mich zu Tode, als der Doc völlig unverhofft die Tür aufreißt und mir entgegen lächelt. Der Tod in Weiß. Die Menschen hinter weißen Kitteln, weißen Gesundheitsschlappen und weißen Stoffhosen können noch so sympathisch sein. Sobald sie zum Arzt werden, mag ich sie nicht mehr. Freundlich lächelnd begrüßen wir uns und ich schildere sogleich was Sache ist. Knie, Schmerzen, Physiotherapeut vermutet den Knorpel. Frei machen, hinstellen. Ich werde fachmännisch beäugt, was mir schon zuwider ist. Hinlegen. Gegrabsche am Knie. Kenne ich schon. Kann ich deswegen aber immer noch nicht leiden. Er packt kräftiger zu und will seine Fingerspitze anscheinend rundherum unter die Kniescheibe schieben. Ich zucke zusammen und die Antwort auf die Frage: "Tut das weh?" erübrigt sich sofort. Klar, du verdammter Mistkerl. Ich kann auch machen, dass es dir wehtut! Ich nicke nur und darf mich wieder anziehen.
Röntgen. Ich kriege ein Zettelchen in die Hand gedrückt und werde dem wohlwollen der Arzthelferinnen überlassen. Eine kleine überaus freundliche Polin ist dabei. Sie lächelt wirklich nicht nur, weil sie es muss. Frohnatur!!  Meine Laune erhellt sie nur bedingt. Nochmal warten, bis der Patient vor mir von der Röntgenliege geschubst wird. Ich bin dran. Erst hinstellen. Wirbelsäule soll auch, weils da auch zwickt. Komm mir vor wie ne uralte Frau. Dann gehts im liegen weiter. Von vorne, von hinten, von der Seite. Die Arzthelferin kennt jetzt jedes Detail meine fetten Beine. Ah, die seh ich wahrscheinlich auch nie wieder. Höchstens hier in der Praxis. Diese Gewurschtel hier reizt mich schon gewaltig und ich hätte mir nur zu gernen einen hysterischen Wutanfall gegönnt. Ich schlage meinen Aufruhr im Kopf nieder und ziehe mich nach gemachten Bis-auf-die-Knochen-Nacktbildern wieder an. Nochmal warten. An meine Buch war nicht zu denken. Augefkratzt fange ich an an meinen Fingernägeln zu pulen, spiele mit meinen Fingern und wippe zu fiktiver Speedmetal-Musik im Takt mit dem Fuß. Das Wartezimmer leert sich weiter und ich werde endlich auch da rausgeholt. Ich folge in ein anderes Untersuchungszimmer. Wieder abgefertigt und aus dem Wartezimmer eliminiert. Ich entdecke meine Röntgenbilder auf dem PC. Mehrere Aufnahmen, bei denen mir flau im Magen wird. Ist meine Wirbelsäule wirklich so stark nach links gekrümmt?!? Deswegen hängt der nervige Schmerz als auf der anderen Seite. Oder wie jetzt? Meine Kniescheibe ist hübsch rundlich und auf den ersten Blick scheint sie am richtigen Platz. Mhh, aber irgendwie guckt die auch zu weit nach innen. Ist das normal? Tausende solche Fragen huschen mir durch den Kopf, bis ich mich zwinge wegzusehen. Insgesamt warte ich 45 Minuten mit meinen digitalen Knochenbildern dort, und habe jetzt doch Horrorvorstellungen von OP's, nach denen man anschließend wochenlang nichts alleine machen kann, an Krücken geht, weder liegen, stehen noch gehen kann, Schmerztabletten wie Smarties frisst. Ich weiß, das ist irre. So wird das sicher nicht sein. Trotzdem kriege ich Angst, wie ein in die Enge getriebenes Tier.  Ruhig bleiben... Ganz ruhig.
Wieder glänzt der Doc mit seinem todesmutig Überraschungsauftritt. Macht der das mit Absicht? Oder kann der Türen nur aufreißen?
Er setzt sich an den PC und nuschelt unverständliches Ärtzelatein in ein Diktiergerät, was wohl die Diagnose sein soll. Der nuschelt ganz schön lange herum, bis er sich endlich mir zuwendet. "Also... Sie haben eine angeborene Fehlstellung des Knies linksseitig." Eh? Bitte was soll ich haben. Warum haben das die Ärzte vor ihm nicht erkannt?? Aha, sage ich nur. "Ihr Rücken. Da sieht es anders aus, eine der Bandscheiben ist etwas dünner als die anderen, wodurch es zu den Schmerzen kommt." Soll mich das beruhigen, oder bin ich auf dem besten Wege zum Invaliden? "Fürs Knie gibts Einlagen, für den Rücken Rehasport. Machen sie denn schon etwas für den Muskelaufbau?" Ja, tue ich im Fitnessstudio. Da trainiere ich Rücken- und Bauchmuskeln ja auch. "Wir sollten es mal mit Reha-Sport versuchen." Ich nickte brav und lass mir den Antrag auf Kostenübernahme in die Hand drücken. Mit Rezept für Einlagen und Antrag marschiere ich aus der Praxis. Es regnet immer noch. Unter dem Vordach zünde ich mir eine Zigarette an, ziehe die Kapuze meiner Jacke fester ums Gesicht und marschiere gen Auto. In der Zeit entscheide ich, dass die Diagnose doch nicht so fatal war. Keine Horrorvision, die real wird. Angeborene Fehlstellung. Klingt wie ne Behinderung in schönen Worten. Aber er hat auch gesagt, dass ich zwei Paar Einlagen bekomme. Eins für die Laufschuhe und eins für den Alltag. Also doch nicht aufhören. Alles darf so weiter laufen. Auf der Matschwiese ertränke ich meine Schuhe in dem Froschteich von einer Pfütze direkt vor der Autotür. Kack-Dreck! Tür auf, rein gehechtet.
Nur eine Fehlstellung. Ich lache laut auf. Kein Knorpelschaden, keine Überbelastung! Lachend fahre ich durch den stürmischen Wolkenbruch zurück nach Hause. Der Alltag hat mich wieder. Der Rest das Tages ist kontrolliertes Chaos und ich bin die Herrin darüber. Papierkram wird erledigt inklusive Antrag so einiges zur Post gebracht. Sport passt laut Tagesplan nicht mehr irgendwo rein, weil der bis Abends um acht voll gepackt ist. Und dann krieg ich mich auch nicht mehr aufgerafft. Vorhin durfte ich dann endlich eine Sitzgelegenheit nutzen, ohne auf irgendeine Diagnose zu warten. Zigarette, Feierabend-Kaffee, Sofa. Welch seliges und einfaches Glück!

Jetzt bin ich gespannt, was die unter Rehasport verstehen. Wird wahrschienlich nichts anderes sein, als Krankengymnastik, nur ein bisschen aufgepimpt durch eine andere Bezeichnung. Jetzt muss ich eh wieder warten. Ständig warten. Langsam hab ich's ja satt.

Apropos warten... Ich habe die Tags nicht vergessen. ^^ Ich muss sie nur noch vervollständigen.

1 Kommentar:

  1. erstmal Glückwunsch zum geschafften arzttermin,..ich kann mit ärzten auch nichts anfangen, bei mir sind es zB speziell die zahnärzte die mir alle einfach nur gruselig erscheinen...-.-
    aber hört sich alles doch ganz gut an! reha ist eine feine Sache, wünsch dir ne gute besserung (kann man das so sagen..?:D)

    und wegen Gewicht: 64!! freu dich darüber!! das mit der ,7 solltest du einfach übersehen, das macht nur unnötig depri.. ;)

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